Johanna Beckmann und andere MeisterInnen des Scherenschnitts in Mecklenburg-Vorpommern

Käthe Reine, Klatschbasen




Eule
Der Scherenschnitt
Schwarzbild, Scherenschnitt, Silhouette, Schattenriss, Schattentheater, Schattenbild - ein Sammelsurium von Begriffen "umrankt" unser Thema. Hier ist zuerst einmal Klarheit zu schaffen. Das fällt nicht allzu schwer, denn die Sache lässt sich an zwei konkreten Dingen festmachen - an Papier und Schere. Gemeint ist der Scherenschnitt "in engerem Sinne". Über diese Kunsttechnik heißt es bei Hans Ries: "Aus schwarzem, weißem oder andersfarbigem Papier, mit der Schere oder dem Messer geschnitten und dann meist auf Papier von kontrastierender Farbigkeit aufgeklebt, ist der Scherenschnitt streng genommen eine dreidimensionale Kunst. Er bezieht seine (in der strengen Spielart der Technik ausschließlich) auf die Kontur gerichtete Darstellung nicht aus einem Aufbau der Form, das heißt aus zeichnerischem Hinzufügen von Farbe, sondern aus dem Wegnehmen von Material, einem abbauenden Vorgang, ähnlich der Bildhauerei...Der Scherenschnitt muss von der in Tusche gezeichneten Silhouette abgegrenzt werden, die streng genommen unter der Rubrik Tuschezeichnung abzuhandeln wäre."
Als Kunsttechnik erlebte der Scherenschnitt Zeiten des Aufschwungs und solche des Vergessenseins. Wollten wir uns zu den Anfangsgründen des Materials - des Papiers- begeben, müssten wir über 2000 Jahre zurück in den fernöstlichen Kulturkreis. Das erste Papier wurde in China produziert. Die Araber übernahmen das Verfahren im 8. Jahrhundert n. Chr. Durch sie gelangte es über den Mittelmeerraum nach Europa.
Soll der künstlerischer Ursprung des Scherenschnitts ergründet werden, müssten wir noch weiter zurück in die Vergangenheit, denn der Scherenschnitt und das schwarze "Schattenbild" scheinen eine Symbiose eingegangen zu sein.
Der Schatten besitzt seit alters eine magische Bedeutung, steht für Bedrohliches, Unergründbares, Geheimnisvolles. Der römische Schriftsteller Plinius (23-79 n. Chr.) bringt den Schatten gar mit der Entstehung der Malerei ganz allgemein in Verbindung. In seinem Gleichnis malt Corinthia den Schatten ihres Geliebten an der Wand nach, um den Abschied nehmenden Mann wenigstens noch im Bilde bei sich zu haben.
Sehr alt sind auch die Schattenspiele. Sie dienten kultischen, später religiösen Zwecken und besaßen natürlich neben ihrem belehrenden einen unterhaltenden Wert. Schon vor über tausend Jahren erlebten sie im asiatischen und im orientalischen Kulturraum einen gestalterischen Höhepunkt.
In Europa wurde schwarzes (oder geschwärztes) Papier etwa von der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts an immer häufiger im Scherenschnitt eingesetzt. Weißschnitte waren schon einhundert Jahre vorher gebräuchlich gewesen.
Ein besonderes Genre des Scherenschnitts ist die Silhouette. Das französische Wort meint heute im allgemeinen Sprachgebrauch Umriss oder Kontur, in künstlerischem Bezug meist die Porträt-Silhouette.
Diese Bezeichnung für das kleine schwarze Porträt geht auf den französischen Bankier Etienne de Silhouette (1709-1767) zurück. Zeitweise Finanzminister am Hofe Ludwig XV. (1710-1774) verordnete er - wie es Finanzminister so an sich haben - größere Sparsamkeit. In weniger Luxus und Prunksucht erkannte er Sparpotentiale, und so war er der Meinung, dass man beispielsweise die teuren und aufwändig gestalteten Miniaturen, die man sich gegenseitig schenkte, durch Papier-Silhouetten ersetzen könnte. Damit machte er sich bei Hofe höchst unbeliebt, und alles, was einfach und schlicht daher kam, hieß nun "à la Silhouette". "Leer wie sein Staatsschatz schwarz wie seine Seele. Dergleichen Bilder heißt der Pöpel nun Silhouetten". (3) Das wäre vielleicht das Ende der Porträt-Silhouette gewesen, hätte nicht zur gleichen Zeit der Schweizer Theologe und Schriftsteller Johann Kaspar Lavater (1741-1801) philosophisch-psychologische Argumente für die Bewertung einer Profil-Silhouette geliefert. In seinem vierbändigen Werk "Physiognomische Fragmente zur Förderung der Menschenkenntnis und der Menschenliebe", erschienen zwischen 1775 und 1778, vertrat Lavater die These, dass man vom äußeren Erscheinungsbild des Menschen, vor allem seinem Gesichtsprofil, auf seine inneren Werte schließen könne. Porträt-Silhouetten wurden jetzt en gros geschnitten, herumgereicht und gedeutet. An diesem "modernen Gesellschaftsspiel" beteiligte sich zeitweise sogar J. W. von Goethe (1749-1832) mit Passion.
J. W. von Goethe


Prinzessin
Die Fotografie brachte das wirkliche Ende der Porträt-Silhouette bzw. verwies sie wieder auf die Jahrmärkte und machte sie zu einer eben bis heute beliebten künstlerischen Nebenbeschäftigung.
Der eigentliche Scherenschnitt aber lebte fort, etwa in den Genresbildern der Biedermeierzeit oder als Illustrationsschnitt in der Buchgestaltung.
Im gesamten 19. Jahrhundert blieb der Scherenschnitt auch als Kunstgewerbe beliebt. Porzellane, Tabakdosen, Lampenschirme, Broschen u. vieles mehr wurden mit Schattenbildern geschmückt, Märchenbücher, Kindergeschichten, Koch- und Gebetsbücher mit Scherenschnitten illustriert. Zeitweise galt er als liebenswürdiger Zeitvertreib für die Damen der besseren Gesellschaft.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckte die pädagogische Reformbewegung, die sich auch für qualitätsvolle Kinderbücher einsetzte, den Scherenschnitt als grafische Technik neu. Hier spielte die Künstlerin Johanna Beckmann (1862-1941) eine herausragende Rolle.
Andere bekannte Scherenschneiderinnen der vergangenen zwei Jahrhunderte waren u.a. Adele Schopenhauer, Cecile Leo, Luise Duttenhofer, Luise Hensel, Josy Meidinger, Maria-Luise Kaempffe, Johanne Müller, Hanna Hausmann- Kohlmann, Käthe Reine. Unter den männlichen Kollegen finden wir u.a. Jean Huber, Philipp Otto Runge, Hans Christian Andersen, Karl Fröhlich, Paul Konewka, Adolf Tannert, Ernst Moritz Engert, Henri Matisse.

Der Scherenschnitt heute
Momentan scheint der Scherenschnitt eine Renaissance zu erfahren. Er hat seine "biedermeierliche Ecke" längst verlassen und sich zu einer variantenreichen, modernen Kunsttechnik entwickelt.
Eine Reihe zeitgenössischer Künstler haben den Scherenschnitt für sich entdeckt und gestalten neuartige, moderne Kunstwerke. Doch auch als sogenannte Volkskunst wird der Scherenschnitt vielerorts wieder ausgeübt.
Die Künstler im 1995 in Stuttgart gegründeten "Deutschen Scherenschnittverein e.V." legen davon in ihren öffentlichen Arbeitsausstellungen Zeugnis ab.
Zum Verein gehören heute rund 400 aktive und fördernde Mitglieder aus dem In- und Ausland. Zweimal im Jahr können sich die Vereinsmitglieder über neue Hefte der attraktiven Vereinszeitschrift freuen, die unter dem Titel "Schwarz auf Weiß" erscheint.

Bemerkenswert: Der Scherenschnitt war und ist bei Frauen und Männern gleichermaßen beliebt.


Literaturverzeichnis
Andersen, Hans Christian: Märchen in Scherenschnittbildern von Käthe Reine. - Faks. d. Ausg. von 1926 im Volksvereins-Verl. zu M.-Gladbach. - Friedland, 2005
Baudis, Hela: Brilliante Scherenschnitte von des Herzogs Hand: das Schweriner Kupferstichkabinett verwahrt seit 100 Jahren diese fast unbekannte Rarität. - In: Heimatkurier. - Schwerin (2004-2-2). - Nr. 3 S. 1
Biesalski, Ernst: Scherenschnitt und Schattenriss: kl. Geschichte d. Silhouettierkunst. - München, 1964
Jansen, Hans Helmut: Margarete Rhades. - In: Schwarz auf Weiß: Zeitschrift d. Dt. Scherenschnittvereins. - Gangkofen (2004). - S. 15ff
Knapp, Martin: Deutsche Schatten - und Scherenbilder aus drei Jahrhunderten. - München, 1916 Kunze, Horst: Schatzbehalter: vom Besten aus der älteren deutschen Kinderliteratur. - Berlin, 1964
Lavater, Johann Caspar: Von der Physiognomik / hrsg. von Karl Riha. - Frankfurt/M.; Leipzig, 1991
Mohr, Gudrun: Die Meisterin des Scherenschnitts Johanna Beckmann. - Friedland, 2000 Mohr, Gudrun: Käthe Reine. - In: Schwarz auf Weiß: Zeitschrift d. Dt. Scherenschnittvereins. - Wendelstein (2002). - S. 10 ff
Müller, Johanne: Der Scherenschnitt: e. praktische Anleitung. - Leipzig, 1962 Privat, Karl: Philipp Otto Runge: sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen u. Berichten. - Berlin, 1942
Schattenbilder der Goethezeit / hrsg. von Anne Gabrisch. - Leipzig, 1966 Weber, Christa; Claus Weber: Schwarze Kunst im Buch: Scherenschnitt u. Schattenriss als Buchillustration. - Röthenbach, 1994
Zwischen Schwarz und Weiß: Scherenschnittkunst in Berlin von der Aufklärung bis zur Moderne [Ausstellungskatalog]. - Berlin, 2004
Ernst Moritz Engert, Tänze